Kenia: Friedensarbeit beginnt an der Basis – Dekha Ibrahim Abdi weltweit gefragt

Von Lillian Aluanga*

Die kenianische Friedensaktivistin Dekha Ibrahim Abdi ist Trägerin des Alternativen Nobelpreises von 2007 und war eine der 1.000 so genannten Friedensfrauen, die 2005 für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen worden waren. Anfang 2010 wurde die Kenianerin mit dem Hessischen Friedenspreis ausgezeichnet.

Fragt man sie nach den Anfängen ihres inzwischen international erfolgreichen Modells der Basisarbeit für den Frieden, dann spricht sie über die schweren regionalen Konflikte von 1993 im Nordosten Kenias und über drei Ereignisse, die das Leben der jungen Frau aus dem nordwestlichen Wajir entscheidend verändern sollten. Damals arbeitete die 29-jährige Abdi im Gesundheitsdienst für nomadisierende Hirtenvölker.

Der Mord an einem Piloten, der im Auftrag von UNICEF Kinder im benachbarten Bürgerkriegsland Somalia versorgte und der Überfall auf ihr Haus, vor dem Mutter und Tochter fliehen mussten, führten ihr damals die wachsende Unsicherheit im dürregeplagten Nordosten Kenias vor Augen, der zudem seit langem unter ethnischen, politischen und religiösen Spannungen und dem bewaffneten Konflikt der verfeindeten Clans der Ajuran und Degodia zu leiden hatte.

Sich nicht mit Gewalt abfinden

Das dritte Ereignis von 1993 war eine Hochzeitsfeier. Trotz des abendlichen Ausgangsverbots war Abdi der Einladung gefolgt. „Ich wollte nicht zulassen, dass Gewalt mich daran hindert, ein normales Leben zu führen“, erinnerte sie sich. „Bei der Unterhaltung mit anderen Gästen wurde mir klar, dass ich mit meiner Wut über diese Spirale der Gewalt nicht allein war.“

An der Festtafel sprach sie mit dem Leiter einer Nichtregierungsorganisation. „Er versprach, Frauen zu unterstützen, die sich für den Frieden in der Region engagieren“, erzählt sie. Damit war der Grundstein für die zivile Schlichtungsorganisation ‚Wajir Women For Peace‘ gelegt. Abdi gab ihrem Leben einen neuen Kurs, dem sich zunächst viele Hindernisse in den Weg stellten.

Im konfliktreichen, von der Regierung vernachlässigten Nordosten Kenias, der nach der Schlacht um Mogadischu viele Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem benachbarten Somalia aufnehmen musste, war Friedensarbeit bislang reine Männersache. Man überließ sie Clanchefs, Geschäftsleuten, Religionsführern und regionalen Verwaltungsbeamten.

An Entscheidungsprozessen regionaler, nationaler und internationaler Institutionen sind bis heute Frauen kaum beteiligt. Sie fehlen auch bei der Ausarbeitung von Instrumenten zur Prävention und Lösung von Konflikten.

Im Jahr 2000 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig die Resolution UNSCR 1325 zu Frauen, Sicherheit und Frieden. Danach sollen Frauen vor Gewalt geschützt, auf allen Ebenen der Friedensprozesse und Sicherheitsmaßnahmen angemessen vertreten und ihre besonderen Lebensumstände bei der Krisenprävention sowie beim Wiederaufbau und bei der Reintegration berücksichtigt werden.

Die Resolution erkennt die Leistungen der vielen tausend Friedensaktivistinnen und deren Unterstützung von Frauenorganisationen an. Sie bekräftigt das Recht der Frauen, sich an Friedensprozessen zu beteiligen und den Inhalt von Friedensverträgen und Wiederaufbauplänen mitzubestimmen.

Doch große Fortschritte lassen die Ergebnisse einer vom Weltfrauenfonds UNIFEM 2009 durchgeführten Untersuchung bislang nicht erkennen. So waren seit 1992 unter den Unterzeichnern von Friedensverträgen nur ein winziger Bruchteil Frauen. Und bei den UN-Sonderbeauftragten und deren Vertretern gibt es lediglich acht Frauen.

Friedensfrauen von Wajir erfolgreich

Dagegen war die Kenianerin Abdi im heimatlichen Wajir mit ihrem Modell der Friedensarbeit an der Basis von Anfang an erfolgreich. „Wegen der andauernden Ausgangssperre trafen wir uns zwischen 17.00 und 17.45 Uhr und versuchten, in den Dörfern der Umgebung Mitstreiterinnen zu gewinnen“, berichtete sie.

In nur zwei Monaten wuchs ihre Gruppe auf rund 70 Frauen an. Die Gruppe arbeitete auch wie ein Frühwarnsystem. Die Frauen hörten sich auf den lokalen Märkten um, um zu erfahren, ob und wo sich neue gewaltsame Konflikte zwischen den Clans anbahnten. Wenn die Sicherheit gefährdet war, stellten die Aktivistinnen den Behörden ihre aktuellen Informationen zur Verfügung.

Auch von außerhalb gab es Unterstützung für die Frauen von Wajir. Die UNICEF-Mitarbeiterin Suizie Cohen und die Kenianerin Kadija Awale, die in Mogadischu den Zerfall Somalias erlebt hatten, schlossen sich ihrer Friedensinitiative an. Awale appellierte an die Frauen von Wajir, nicht zuzulassen, dass ihre Stadt zu einem zweiten Mogadischu wird, und gewann weitere Friedensaktivistinnen.

1995 begann die Friedensgruppe von Wajir, mit staatlichen und nichtstaatlichen Stellen zusammenzuarbeiten. Aus dieser Kooperation entwickelte sich später das ‚Wajir Peace Development Committee‘. „Der Staat wusste, wie man mit Gewalt zum Frieden kommt, doch vom gewaltlos erreichten Frieden weiß er nichts“, stellt Abdi fest.

Clan-Streitereien schlichten

Für die Region, in der man sich an die an jahrelange Militärpräsenz gewöhnt hatte, waren Abdis Bemühungen, Streit zwischen Clans durch Vermittler zu schlichten, eine bislang unbekannte Alternative, die allmählich Erfolge zeigte.

„Wenn es um gestohlene Dinge ging, die über die Grenze geschafft worden waren, vermittelten wir auf lokaler Ebene zwischen beiden Parteien, bis das Diebesgut wieder im Land war“, berichtete Abdi. „Damit erreichten wir mehr als staatliche Stellen, die in solchen Fällen gleich Soldaten losgeschickt hätten.“ Auch Streitereien auf dem Viehmarkt der nordostkenianischen Kleinstadt Mandera, die leicht in Schießereien ausarten konnten, wurden durch Vermittler geschlichtet.

1997 wurde Abdi Mitglied des Nationalen Lenkungsausschusses für Frieden, dessen Arbeit bis 2003, als die Regenbogenkoalition (NARC) an die Regierung kam, kaum eine Rolle spielte. Unterdessen war Abdi viel unterwegs. Ihr Konzept der Friedensarbeit und ihre Krisenanalysen waren international gefragt. In Äthiopien, Großbritannien, Israel, Jordanien, Kambodscha, den Niederlanden, Palästina, Simbabwe, Südafrika, Sudan und Uganda stellte sie ihr Modell vor, Konflikte an der Basis zu schlichten.

„Prinzipiell geht es immer darum, angemessen zu reagieren und dabei die Vielschichtigkeit der Ursachen zu berücksichtigen“, erklärte sie. „Auch beim Hausbau beginnt man nicht mit dem Dach, sondern mit dem Fundament“, betont sie.

Als es in ihrem Heimatland Kenia 2007 bis Anfang 2008 während des Wahlkampfs und nach den Parlamentswahlen zu schweren politischen Unruhen mit ethnischem Hintergrund kam, bei denen nach Polizeiangaben über 1.500 Menschen getötet und mehrere tausend von Haus und Hof vertrieben wurden, übernahm Abdi den Vorsitz in der Initiative ‚Concerned Citizens For Peace‘.

Der Weg ist lang bis zur Umsetzung von UNSCR 1325

„Kenia hat einen weiten Weg von 1990 bis zur Umsetzung der 2000 vom Sicherheitsrat verabschiedeten Resolution UNSCR 1325 zurückgelegt, aber noch weit mehr bleibt zu tun“, stellt Abdi fest. „Immerhin können wir jetzt offen über die Lösung von Konflikten und Friedenprozesse sprechen. Frauen spielen eine wichtigere Rolle. Die beiden Frauen im Kabinett, Agrarministerin Sally Kosgei und Justizministerin Martha Karua, gehörten 2008 zum Verhandlungsteam, dem es schließlich gelang, eine Koalitionsregierung zusammen zu bringen.“

Abdi verwies darauf, dass in Kenias neuer Verfassung von 2008 erstmals eine stärkere Vertretung von Frauen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verankert ist. Die Regierung brauche Entschlossenheit und einen starken politischen Willen, um dieses Zukunftsmodell umzusetzen. „Der Übergang könnte allerdings schwierig werden“, fügte sie skeptisch hinzu. In Kenia gibt es inzwischen in jedem Distrikt ein Friedenskomitee mit obligatorischer Beteiligung von Frauen.

Kenias international engagierte Friedensfrau bedauert es, dass ihre Mission ihr wenig Zeit für ihre Familie lässt, die inzwischen in Mombasa an der kenianischen Südküste lebt. Die Mutter von vier Kindern im Alter zwischen zehn und 19 Jahren ist mit einem Augenarzt verheiratet. „Auch wenn ich oft unterwegs bin, telefoniere ich täglich mit ihnen. Zurück zu Hause erzähle ich ihnen ausführlich von meinen Reisen und von meiner Arbeit“, berichtet Abdi.

Für Mitarbeiter und Ratsuchende ist die gläubige Muslima, die zu Beginn ihres Arbeitstags um 4.00 Uhr betet und im Koran liest, jederzeit erreichbar. Als ihr Handy während des Interviews klingelt, entschuldigt sie sich später für die Unterbrechung. „Es war wichtig. Ein Friedensaktivist aus Mogadischu suchte verzweifelt nach einen Ansprechpartner in Nairobi.“

*Lillian Aluanga ist eine kenianische Journalistin.

Deutsche Bearbeitung des Artikels: Grit Moskau-Porsch/IPS Inter Press Service Deutschland [www.ipsnews.de]

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