Ohne Frauen keinen Frieden

Eine Analyse zum Hintergrund von UN-Resolution 1325 von Ute Scheub*

Ramadan in Darfur. Albert Gonzalez Farran/UN Photo

Der einmütigen Verabschiedung von Resolution 1325 am 31. Oktober 2000 im UN-Sicherheitsrat ging ein jahrelanges, zähes und geduldiges Lobbying zahlreicher Frauenorganisationen und einiger weniger engagierter Männer voraus. Ihre Ursprünge reichen bis in die Pekinger UN-Frauenkonferenz von 1995 zurück, dort wurde die Aktionsplattform und ihr Kapitel „Frauen und bewaffnete Konflikten“ verabschiedet.

Anlässlich des fünften Jahrestags der Pekinger Konferenz („Peking+5“) im Jahre 2000 trafen sich fünf Menschenrechtsorganisationen in New York: International Alert, die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, Amnesty International, The Hague Appeal for Peace und die Women’s Commission for Refugee Women and Children. Sie gründeten die NGO Working Group on Women, Peace, and Security. die heute zwölf Mitglieder umfasst, und forderten eine deutliche Stellungnahme des Sicherheitsrats zum Thema Frauen, Krieg und Frieden. Um die Chancen für eine solche Resolution zu erhöhen, nahm die Arbeitsgruppe Kontakt zu den Botschaften von Ländern auf, die als nichtständige Mitglieder im Sicherheitsrat saßen. Zusammen mit Mitgliedern der Botschaften von Bangladesch, Jamaika, Namibia, Kanada und später auch Großbritannien schmiedeten sie eine Allianz.

Anwarul Karim Chowdhury, damals Bangladeschs Botschafter bei den UN, sorgte am 8. März 2000 mit einer Erklärung des Sicherheitsrats zur Sicherheit von Frauen in Konflikten für den politischen Durchbruch. Es war gleichzeitig auch ein thematischer Durchbruch Richtung human security, der mit der traditionellen Vorstellung von der unantastbaren Souveränität der UN-Staaten brach. Diese Neudefinition von Sicherheit war und ist etlichen Nationen bis heute nicht genehm, auch von daher erklärt sich ihr anhaltender Widerstand gegen die Resolutionsumsetzung.

In der Folge verabschiedeten die Regierung von Namibia und UN-Repräsentanten im Mai 2000 in einem internationalen Seminar die Declaration of Windhuk. Zusammen mit der Erklärung des Sicherheitsrats bildete sie die Grundlage für eine umfassende Resolution, an deren Formulierung in den Folgemonaten weltweit Nichtregierungsorganisationen und verbündete Diplomaten feilten.

Am 31. Oktober 2000 verabschiedeten die Mitglieder des Sicherheitsrats unter dem Vorsitz von Namibia einstimmig die Resolution 1325. Botschafter Chowdhury formulierte in seiner Rede drei neue Aufgabengebiete für den Sicherheitsrat: den Einfluss bewaffneter Konflikte auf Frauen und Mädchen zu untersuchen, den Frauenanteil in den UN-Organen und -Friedensmissionen zu erhöhen und Frauen in Friedens- und Wiederaufbauprozesse einzubeziehen.

Zum ersten Mal erkannte der Herrenklub Sicherheitsrat damit an, dass die Rollen von Frauen und Männern friedliche oder kriegerische Zustände auf der Welt entscheidend mitprägen. Frauen müssen „in den nationalen, regionalen und internationalen Institutionen und Mechanismen zur Verhütung, Bewältigung und Beilegung von Konflikten auf allen Entscheidungsebenen“ stärker vertreten sein, lautet ein zentraler Satz gleich in Paragraph 1.

Die Resolution lässt sich mit drei „P“ zusammenfassen:

Partizipation von Frauen,

Prävention neuer Kriege,

Protektion vor sexualisierter und anderer Gewalt,

Diskurskritik

Seit es Kriege gibt, rechtfertigen sich die Krieger damit, sie seien losgezogen, um „Frauen und Kinder zu schützen“. „Womenandchildren“, wie Cynthia Cockburn ironisch schreibt, müssen seit Jahrhunderten dafür herhalten, dass Männer bewaffnete Kämpfe um ihre Stellung in der Hierarchie der hegemonialen Männlichkeit auszutragen. Nicht zufällig gibt es im Deutschen und anderen Sprachen nur ein Wort für „victim“ und „sacrifice“, Opfertum und Märtyrertum hat den Ruch des Sakralen und Heiligen. „Heilige“ Opfer sind ein konstitutives Element für den weltweiten Kult um Heldenkrieger und die Unterordnung der Frauen. Durch Opfer entsteht ein fataler Gewaltkreislauf: Kriegerhelden sind Täter, die andere zu Opfern machen, und heilige Opfermärtyrer werden wiederum zu neuen gewalttätigen Helden.

Die männliche Vorherrschaft arbeitet mit hochaufgeladenen dichotomen Symbolen, die den Akteur_innen nur teilweise bewusst sind. Hegemoniale Männlichkeit ordnet sich selbst Stärke, Autorität, Rationalität und Verteidigung Schutzbefohlener zu, Frauen und Kinder werden als schwach, passiv und zu Schützende definiert. Auf diese Weise wird die Gewaltbereitschaft von Männern legitimiert, Frauen hingegen werden als friedlich markiert.

Weil die UNO als Friedensorganisation gegründet wurde und durch politisch-finanzielle Manöver geschwächt wird, gilt sie in der Wahrnehmung vieler Militärs, Machtpolitiker und „Sicherheits“experten der realpolitischen Schule als „schwach“ und „weiblich“ – „sissy stuff“ eben. Doch zeigen sich diese dichotomen Muster in den UN-Diskursen in ähnlicher Weise. UN-Personal benutzt sie ebenfalls – womöglich, um der Vorstellung von der UN als „sissy stuff“ zu entgehen, vielleicht aber auch nur, weil diese Vorstellungen unbewusst weitergegeben werden.

In unzähligen UN-Dokumenten findet sich die Figur der „verwundbaren“ Frauen und Mädchen, die männliche Peacekeeper zu „beschützen“ hätten. Selbstverständlich ist das weibliche Geschlecht verwundbar – Männer und Jungen sind es jedoch ebenfalls. Nur darf Letzteres nicht thematisiert werden. Männer dürfen kein Opfer sein, schon gar nicht von sexualisierter Gewalt, denn das würde sie mit den untergeordneten Frauen gleichstellen (siehe auch weiter unten). Damit geriete ein zwar unsichtbares, aber zentrales Moment der patriarchalischen Herrschaft in Gefahr.

Es ist nicht auszuschließen, dass männliche Delegierte bei der Verabschiedung von UNSCR 1325 ebenfalls von der Vorstellung motiviert waren, dass Krieg eine Sache unter Männern sei und „anständige“ Militärs „hilflose“ Frauen und Kinder zu beschützen hätten. In solch einer Lesart ist der paternalistisch angehauchte Opferschutz der entscheidende Aspekt der Resolution.

Militärbündnisse wie die Nato wiederum betonen, dass UNSCR 1325 die Rekrutierung von mehr weiblichen Soldaten verlange, ähnlich argumentieren manche Regierungen in ihren Nationalen Aktionsplänen. Ein ideologischer Missbrauch der Resolution ist also nicht grundsätzlich auszuschließen (siehe weiter unten).

Für viele Friedensfrauen und Graswurzelaktivistinnen aber ist der wichtigstes Aspekt von UNSCR 1325, dass die Resolution zum ersten Mal völkerrechtlich verbindlich ihr Recht auf Beteiligung in Friedensprozessen anerkennt – ohne dies gegen die anderen Teile der Resolution ausspielen zu wollen. Damit sind Frauen Akteurinnen des Wandels und müssen auch als Akteurinnen einbezogen, ermächtigt und unterstützt werden – auch dann, wenn sie Opfer sexueller oder anderer Kriegsgewalt wurden.

Das wichtigste Kriterium für die Umsetzung der Resolution ist deshalb, ob Frauen von Beginn an Friedensprozessen beteiligt sind. Denn nur durch ihre Partizipation kann auch Prävention und Protektion wirksam werden, andersherum gilt dies nicht unbedingt.

Wie weit wurde Resolution 1325 umgesetzt?

Als größtes Umsetzungshindernis in den letzten zehn Jahren erwies sich der fehlende politische Willen von Akteuren auf allen Ebenen, die gesplittete Verantwortung von UN-Agenturen, das mangelndem Budget sowie die Tatsache, dass die Resolution keine Quoten, keine Zeitfristen und keine klares Monitoringsystem enthält. Auch Generalsekretär Ban Ki-Moon sah das in seinem Jahresbericht von 2009 über die Umsetzung von UNSCR 1325 so: „Given the novelty and comprehensiveness of resolution 1325 (2000), the absence of a reporting and monitoring mechanism, akin to that established to monitor the implementation of resolution 1612 (2005) on children in armed conflict, has become a major handicap. Continuous feedback on progress in implementing the resolution is lacking, and no systematic sharing of best practices and approaches exists.“

Partizipation:

„Wenn Frauen anwesend sind, verändert sich die Natur des Dialogs“, schrieben die finnische Ex-Verteidigungsministerin Elisabeth Rehn und die jetzige liberianische Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf in der Unifem-Studie Women, War, and Peace. Denn Frauen bestehen eher auf zivilen Konfliktlösungen, sie treten in den Verhandlungen vermittelnder und geschickter auf und bringen neue Themen und Blickwinkel in die Verhandlungen ein, zum Beispiel Fragen der Gesundheit, Ernährung oder Bildung. Frauen können einen Unterschied machen und den Ausbruch neuer Kriege verhüten – aber nur, wenn sie von Anfang an eine wichtige Rolle spielen können.

Umgekehrt gesagt: Wenn Frauen in solchen Prozessen nicht vertreten sind, ist deren Scheitern fast sicher. „Der systematische Ausschluss von Frauen aus offiziellen Friedensprozessen hat schädliche Effekte auf die Nachhaltigkeit von Friedensabkommen“, heißt es auch in einem Bericht des EU-Parlaments aus dem Jahr 2000. Wenn keine oder kaum Frauen in den neuen Gremien des wiederaufzubauenden Landes vertreten sind – in Parlament, Regierung, Justiz, Sicherheitsapparat und anderswo -, dann werden die Interessen und Bedürfnisse der Hälfte der Bevölkerung weiterhin ignoriert, dann bleiben „private“ und „öffentliche“ Gewaltdynamiken mit großer Sicherheit erhalten, und die Gefahr neuerlicher Kriege steigt.

Wie wir inzwischen aus der Judenvernichtung durch die Nazis und vielen anderen Gewaltkonflikten wissen, kann die Soziodynamik unaufgearbeiteter Schuld und unaufgearbeiteter Opfertraumata Familien und Gesellschaften bis in die dritte und vierte Generation vergiften, oder sogar noch darüber hinaus. Besonders zerstörerisch wirkt sich erfahrene sexuelle Gewalt aus, weil sie fast nirgendwo ausgesprochen und bearbeitet werden kann.

Private“ Gewaltdynamiken: Traumatisierte männliche Kriegsteilnehmer geben die erlebte Gewalt häufig in Form von „privater“ häuslicher Gewalt an Frauen und Kinder weiter, sodass eine weitere Generation Gewalttraumata aufgebürdet bekommt. „Ich bin so gestresst durch den Krieg. Es ist unvermeidbar, dass ich meine Frau schlage“, so ein mazedonischer Ex-Soldat zu den Autorinnen von „Women, War, and Peace“. Jungen aus solchen Familien werden als Erwachsene häufig Täter, um die erlittene Gewalt vermeintlich zu bewältigen. Mädchen schaffen es oft nicht, sich aus dieser Opferrolle zu befreien und werden als Frauen erneut Gewaltopfer. Geschieht dies massenhaft, dreht sich die Gewaltspirale weiter, und die „private“ Gewalt schlägt irgendwann um in „öffentliche“.

Öffentliche“ Gewaltdynamiken: Viele von mächtigen männlichen Anführern abgeschlossene Friedensabkommen sind schlecht ausgehandelt und lassen Gewaltursachen und -folgen unangetastet, weil die Aufteilung von Machtpfründen im Mittelpunkt steht und nicht die Befriedung und Gesundung der Gesellschaften. Kriegsverbrecher erhalten nicht selten Amnestie oder werden mit neuen Posten als Gouverneure, Polizei- oder Militärchefs belohnt. Gelder werden prioritär nicht für Opfer oder für Justizprozesse und Wahrheitskommissionen ausgegeben, sondern dafür, dass bewaffnete Männer neue Perspektiven erhalten. Oder in den Worten von Don Steinberg: In Friedensgesprächen „men with guns forgive other men with guns for crimes against women.“ Die Privilegien für militarisierte Männer und die Unterordnung der Frauen werden dadurch bestätigt. Die Straflosigkeit fördert neue Verbrechen, und die ungelösten Probleme entladen sich mitsamt dem angestauten Hass in neuen Gewaltspiralen.

Der Slogan Peace Needs Women gilt deshalb in doppeltem Sinne. Er betont einerseits, dass nur Frauen einen Friedensprozess so gestalten können, dass auch die weibliche Hälfte der Gesellschaft davon profitiert. Andererseits zeigt er auf, dass ein von Frauen mitgeformter Frieden auch für die Männer und Jungen, also für die ganze Gesellschaft, von größtem Vorteil ist, weil nur er Nachhaltigkeit garantiert.

Die feministische Annahme, dass die Stärkung von Männern Unfrieden und Gewalthierarchien fördert, die Stärkung von Frauen dagegen allen Gesellschaftsmitgliedern nützt, wird inzwischen durch eine Vielzahl neuerer Studien gestützt. Die statistischen Länderanalysen von Caprioli, Menander und Bussmann (Mary Caprioli, 1/2000, 2/2000 und 2005; Erik Menander, 2005; Margit Bussmann, 2010) zeigen eindeutige Zusammenhänge zwischen Geschlechtergleichheit und Friedlichkeit eines Landes auf. Je mehr Frauen in Parlamenten und Arbeitsmärkten vertreten sind, desto weniger neigen diese Staaten zu innerer oder äußerer Gewalt. Umgekehrt gilt dasselbe: Patriarchalische Verhältnisse fördern die innere und äußere Aggressionsbereitschaft von Ländern.

Friedensverhandlungen: Nach einer Studie von UNIFEM aus dem Jahre 2009 waren in insgesamt 21 untersuchten Friedensverhandlungen seit 1992 gerade mal 2,4 der Mitunterzeichnenden weiblich. Der Frauenanteil in diesem Bereich ist nach der Verabschiedung von UNSCR 1325 sogar gesunken: Vor dem Jahr 2000 betrug er bei den untersuchten Abkommen 4,1%, danach nur noch 1,7%.

Die Unifem-Studie umfasste die Abkommen von El Salvador 1992 (12% Mitunterzeichnerinnen), Guatemala 1996 (11%), Nordirland 1998 (2%), Indonesien 1999 (0%), Sierra Leone 1999 (0%), Burundi 2000 (0%), Papua Neuguinea 2001 (7%), Afghanistan 2001 (9%), Somalia 2002 (0%), Elfenbeinküste 2003 (0%), Demokratische Republik Kongo 2003, 2008 und nochmals 2008 (5%, 5%, 0%), Liberia 2003 (0%), Sudan 2005 (0%), Darfur 2006 (0%), Nepal 2006 (0%), Phillippinen 2007 (0%), Uganda 2008 (0%), Kenia 2008 (0%), Zentralafrikanische Republik 2008 (0%).

Weitere Ergebnisse der Untersuchung:

* Keine einzige Frau wurde in UN-geführten Friedensverhandlungen zur Leitenden Verhandlerin oder Vermittlerin ernannt. Dass Mediatorinnen eine sehr positive Rolle spielen können, zeigte Graca Machel als AU-Vermittlerin in Kenia 2008.

* Der Frauenanteil in jenen 10 Verhandlungsdelegationen, für die exakte Zahlen zu ermitteln waren, betrug durchschnittlich 5,9 Prozent; bei den anwesenden Beobachtern lag er bei 5,5 Prozent. Die Anwesenheit von Beobachterinnen ohne Stimmrecht hatte dennoch einen gewissen Effekt und sorgte dafür, dass Menschen- und Frauenrechte oder politische Partizipation von Frauen in den Friedensabkommen zumindest erwähnt wurden. Schwierige Themen wie die Rehabilitierung von Opfern sexuelle Gewalt aber wurden kaum je behandelt.

* Die Friedensverhandlungen von Indonesien, Nepal, Somalia, Elfenbeinküste, Philippinen und Zentralafrikanischer Republik war reine Männerversammlungen.

Prävention und Protektion

Inzwischen gibt es weltweit eine erkleckliche Anzahl von Frühwarnsystemen und Präventionsmechanismen, doch die Integration von Geschlechterfragen gestaltet sich meist schwierig. Frühwarnsysteme, wie sie beispielsweise in Ost- und Westafrika zur Verhütung von Stammeskonflikten zum Einsatz kommen, haben oft nur wenige weibliche Zuträger, auch finden sich in den lokalen und regionalen Friedenskomitees kaum Frauen.

Eine Unifem-Review über 300 Friedensabkommen in 45 Konflikten von 1989 bis 2008 kam zum Ergebnis, dass nur in 18 Fällen und 10 Konflikte betreffend sexuelle oder geschlechtsspezifische Gewalt überhaupt erwähnt wurde. Die 10 Konflikte betreffen Burundi, Indonesien (Aceh), DR Kongo, Sudan (Süd), Sudan (Darfur), Nepal, Philippinen, Uganda, Guatemala, Mexiko (Chiapas). In keinem einzigen Fall wurden Maßnahmen zur Rehabilitierung der Opfer vereinbart. Die Umsetzung der Resolution dürfte in diesem Bereich gegen null gehen.

Nationale Aktionspläne

Trotz der Appelle des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan, nationale Aktionspläne zur Umsetzung von Resolution 1325 aufzulegen, sind bislang nur 21 von 192 UN-Mitgliedsstaaten dieser Aufforderung gefolgt. Es sind dies: Belgien, Bosnien, Chile, Dänemark, Demokratische Republik Kongo, Elfenbeinküste, Ghana, Großbritannien, Island, Liberia, Niederlande, Norwegen, Österreich, Philippinen, Portugal, Schweden, Schweiz, Sierra Leone und Spanien. Einige weitere Länder sind in Vorbereitung eines Nationalen Aktionsplanes.

UN-Ebene

In ihrer über 60-jährigen Existenz hatte die UNO niemals eine Generalsekretärin an der Spitze. Bis heute waren kaum mehr als acht Sonderbeauftragte und ihre Stellvertreter weiblich. Bis Februar 2010 leiteten nur vier Frauen eine Friedensmission, nämlich in Liberia, Nepal, Georgien und der Zentralafrikanischen Republik.

Auch in der UN-Peacekeeping-Abteilung sind Frauen weiterhin eher selten. 2010 waren nur etwa 2,7 Prozent der UN-Militärs, 7 Prozent der UN-Polizisten und 30 Prozent der Zivilpersonals weiblich. Das Versprechen, alle Friedensmissionen mit Geschlechter-Beratenden auszustatten, wurde bisher nicht umgesetzt, 2008 gab es nur 12 derartige Vollzeitstellen in Friedensmissionen.

Männliche Blauhelme fallen hingegen immer wieder durch sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen auf. UN-Peacekeepers „können ein Teil des Problems statt ein Teil der Lösung werden“, heißt es in „Women, War, and Peace“. In der Demokratischen Repubik Kongo, auf dem Balkan, in Kambodscha und anderswo entstand mit der Anwesenheit der Blauhelme eine regelrechte Sexökonomie – und die HIV-Infektionsrate nahm einen dramatischen Aufschwung. Selbst in UN-Flüchtlingslagern können Frauen sich nicht sicher fühlen, weil es kaum weibliches Personal gibt. In Guinea, Liberia, Sierra Leone und anderswo sahen sich 13- bis 18-jährige Mädchen gezwungen, ihren Körper zu verkaufen, um an Essen, Medizin oder Trainingskurse zu kommen – Güter, die ihnen eigentlich gratis zustanden. Zwischen 2007 und 2009 wurden von den 450 bekanntgewordenen Fällen von sexuellem Missbrauch durch Blauhelmträger – der Spitze des Eisbergs – gerade mal 29 in irgendeiner Weise geahndet.

Zusammenhang mit den Resolutionen 1820, 1888, 1889

Die Folgeresolution UNSCR 1820 wurde am 19. Juni 2008 verabschiedet. Darin erkannte der Sicherheitsrat – und auch das war ein Durchbruch – zum ersten Mal in der UN-Geschichte an, dass „Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder eine die Tatbestandsmerkmale des Völkermordes erfüllende Handlung darstellen können.“ Es fehlte jedoch der Hinweis, dass Massenvergewaltigungen und sexualisierte Gewalt eine Kriegstaktik und Kriegswaffe sein können, deren Bekämpfung sowohl politischer als auch sicherheitstechnischer Antworten bedarf.

Unter Bezugnahme auf die Aktionsplattform von Peking und Resolution 1325 forderte der Sicherheitsrat die sofortige vollständige Beendigung aller sexualisierten Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen, „vor allem gegen Frauen und Kinder“ – Männer wurden leider nicht explizit genannt. Die Resolution verlangt zudem neue Anstrengungen zur Umsetzung einer „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber sexuellen Übergriffen von UN-Personal, ein besseres Training vor Friedenseinsätzen, ein Ende der Straflosigkeit für Täter sowie nachhaltige Hilfe für Opfer, und sie droht nichtkooperativen Staaten mit Sanktionen.

Der frühere Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs in der Elfenbeinküste, Pierre Schori, erklärte den Zusammenhang zwischen den beiden Resolutionen folgendermaßen: „SCR 1325 ist über Prävention und Macht; SCR 1820 ist über Protektion und Bestrafung. Beide sind wichtig. Aber solange 1325 nicht umgesetzt wird, wird es auch keine nachhaltige Umsetzung von 1820 geben.“

Die Umsetzung der Resolution sei „schwach“, kritisierte ein Jahr nach Verabschiedung von UNSCR 1820 die NGO Working Group On Women, Peace And Security. Sexualisierte Gewalt habe sich in vielen Ländern fortgesetzt, unter anderem in Burundi, Sierra Leone und der Elfenbeinküste, im Irak, in Afghanistan, Haiti, Liberia, Birma, Somalia, Nepal und Osttimor. In der Demokratischen Republik Kongo, im Sudan, Tschad und der Zentralafrikanischen Republik habe sie sogar zugenommen. Bisher seien nur gegen drei Männer in der DR Kongo Sanktionen verhängt worden: Ihr Vermögen sei eingefroren und gegen sie ein Reisebann verhängt worden.

Die Arbeitsgruppe stellte auch dem Sicherheitsrat ein schlechtes Zeugnis aus: Er könne sehr viel mehr tun als bisher. Es fehle an Daten, Überwachungsmechanismen und Sonderbeauftragten, die innerhalb des UN-Systems das Thema ansprechen, aber auch an kohärenten Strategien, um während Friedensmissionen, Friedensverhandlungen und Aufbauprozessen sexualisierte Gewalt zu bekämpfen und Schutz für Zivilpersonen zu organisieren. Vor allem aber fehle der politische Wille, sexuelle Verbrechen zum Dauerthema zu machen, unter anderem, indem man den dafür politisch Verantwortlichen droht, sie vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Bisher sind nur drei Dutzend Beschuldigte für diese Verbrechen vor dem ICC belangt worden.

Am 30. September 2009 verabschiedete der Sicherheitsrat UNSCR 1888. Sie bezieht sich hauptsächlich auf Resolution 1820, wobei sich der Rat „zutiefst besorgt“ über das Ausbleiben von Fortschritten bei ihrer Umsetzung zeigte. Vor allem in drei Aspekten geht die neue Resolution über UNSCR 1820 hinaus:

* Sie fordert vom Generalsekretär die Ernennung einer Sonderbeauftragten gegen sexuelle Gewalt – dies ist inzwischen mit Margot Wallstrom geschehen.

* Sie fordert nachdrücklich dazu auf, Fragen der sexuellen Gewalt schon zu Beginn von Friedensprozessen und -verhandlungen zu thematisieren.

* Sie ruft zur raschen Bildung von Sachverständigenteams auf, die nationale Behörden bei der Stärkung von Rechtsstaatlichkeit unterstützt.

Nur wenige Tage später folgte am 5.Oktober 2009 die Verabschiedung von Resolution 1889, die sich wiederum hauptsächlich auf Resolution 1325 und ihre mangelnde Umsetzung bezieht.

* Ihr wichtigster neuer Aspekt ist das Ersuchen, dem Sicherheitsrat innerhalb von sechs Monaten einen Katalog von Indikatoren vorzulegen, mit denen die Umsetzung von UNSCR 1325 überprüft werden kann. Dies ist inzwischen mit dem Bericht des Generalsekretärs vom April 2010 geschehen, der eine ganzen Katalog von spezifischen, messbaren und zeitabhängigen Indikatoren vorschlägt.

Worst Practices (Nicht-Umsetzung von Resolution 1325)

* Beispiel Bosnien: Das Abkommen von Dayton spaltete Bosnien-Herzegowina in ethnische Entitäten und belohnte so die Strategie der „ethnischen Säuberungen“ der Kriegsführenden. In den Entitäten pflegten männliche Veteranenbünde weiterhin ihre Kriegeridentitäten, um sich keine schmerzhaften Fragen nach dem Sinn ihres Kriegseinsatzes und ihrer physischen und psychischen Verwundungen stellen zu müssen. Das Schicksal der zahlreichen kriegsvergewaltigten Frauen wurde im Abkommen nicht erwähnt, sie mussten einen langen Kampf um ihre Würde, ihre Anerkennung als Opfer und ihre Entschädigung kämpfen.

* Beispiel Afghanistan: Das Petersberger Abkommen zur Jahreswende 2001/2002 feierte auf Initiative der USA die Warlords der Nordallianz als „Helden des Dschihad“ und überließ ihnen die Macht im Staat, statt Frauen und Demokraten zu unterstützen. Später ließen sich etliche Kriegsverbrecher, die auch für sexualisierte Gewaltakte mitverantwortlich waren, ins Parlament wählen und gewährten sich mit dem Amnestiegesetz von März 2007 selbst Straffreiheit – ein direkter Verstoß gegen UNSCR 1325 und 1820 und das Völkerrecht. Als die Abgeordnete Malalai Joya dagegen protestierte, wurde ihr Vergewaltigung angedroht, später wurde sie wegen „Beleidigung“ des Parlament ausgeschlossen.

Risiken und Herausforderungen

* Eine der Hauptrisiken bei der Umsetzung der Resolution liegt wie oben schon erwähnt in der Überbetonung der weiblichen Opferrolle. Wenn Frauen weiterhin nur als Opfer gesehen werden, dann werden sie ein zweites Mal viktimisiert, und ihre männlich-patriarchalischen „Beschützer“ werden sogar noch gestärkt.

* Eine zweite Gefahr liegt in der Überbetonung des Militärs und der Rekrutierung weiblicher Soldaten, wie sie in einigen Nationalen Aktionsplänen zu beobachten ist, beispielsweise in dem von Norwegen, oder auch bei manchen Aktivitäten der Nato. Eine solche Form von „embedded feminism“ lag mit Sicherheit nicht in der Absicht der Mütter und Väter der Resolution.

* Ein drittes Risiko lauert in der impliziten Annahme, dass weibliche Peacekeeper den möglichen sexuellen Missbrauch der lokalen Bevölkerung durch ihre männlichen Kollegen stoppen oder verhindern und lokale Frauen schützen können. Dies ist jedoch eine klare Überforderung. Frauen dürfen nicht und können nicht die Knautschzonen für Konflikte zwischen Internationalen und Lokalen sein. Die gesamte UN-Hierarchie ist hier aufgerufen, Misstände abzustellen und die „Sexökonomie“ rund um UN-Standorte endlich auszutrocknen.

* Eine vierte Gefahr liegt in der Tatsache begründet, dass weder Resolution 1325 noch 1820 das „Tabu im Tabu“ ansprechen: sexualisierte Kriegsgewalt gegen Männer und Jungen. Obwohl die Opfer konsequent schweigen und keinerlei quantitative Aussagen über das Ausmaß möglich sind, deuten immer mehr Berichte und Studien darauf hin, dass diese Form von Kriegsverbrechen nicht viel weniger verbreitet ist wie die gegen Frauen und Mädchen. Männliche Opfer haben jedoch ebenso ein Anrecht auf Würde, Rehabilitierung und Entschädigung wie weibliche. Zudem laufen männliche noch stärker als weibliche Opfer Gefahr, bei Nichtbehandlung ihrer körperlichen und seelischen Wunden selbst zum Täter zu werden und die erlittene Gewalt an die Gesellschaft und die eigenen Kinder weiterzugeben.

Wenn die Frauenförderung in der UN im bisherigen Tempo weitergehe, errechnete der frühere UN-Sondergesandte Stephen Lewis, sei das Ziel von 50 Prozent Frauen in der Genfer UN-Abteilung erst im Jahre 2072 und in der New Yorker Abteilung Friedensmissionen im Jahre 2100 erreicht. Er sehe ein strukturelles Versagen der UNO auf allen Ebenen: „Intern wie extern haben die Vereinten Nationen kontinuierlich gegenüber den Frauen der Welt versagt.“ Die Diskriminierung der Frauen gehe so weiter wie bisher, auch bei Resolution 1325: „Frauen waren nirgendwo an den Friedenstischen. Es ist, als ob die Resolution überhaupt nicht existieren würde.“ Ähnliches drohe auch der im Juni 2008 verabschiedeten Resolution 1820: „Wenn etwas aufs Papier gebracht wird, fühlt niemand mehr die Verpflichtung, es umzusetzen.“ Man müsse sich fragen: „Würde so etwas passieren, wenn das Männer wären? Die Antwort ist nein. Man kann sich so ein Vorgehen nur erlauben, weil es sich um Frauen handelt.“

Was erwarten wir?

Hunderttausende von Friedensfrauen weltweit erwarten, dass die einschlägigen Resolutionen nicht zu 0 bis 5 Prozent, sondern zu 100 Prozent umgesetzt werden.

Wir erwarten, dass es selbstverständlich wird, dass an allen Friedenstischen dieser Welt zur Hälfte Frauen sitzen.

Wir erwarten desgleichen in den Parlamenten, Regierungen, Justiz- und Polizeisystemen und anderen Gremien von Nachkriegsländern.

Wir erwarten, dass in den nationalen, regionalen und internationalen Institutionen zur Konfliktprävention, Frühwarnung und Konfliktbearbeitung ebenfalls zur Hälfte Frauen sitzen.

Wir erwarten ein Ende der gesellschaftszerstörenden Straflosigkeit – Kriegsverbrecher müssen konsequent verurteilt und Opfer rehabilitiert und entschädigt werden.

Wir erwarten, dass der nächste Generalsekretär eine Frau wird, die UN zur Hälfte von Frauen geführt wird und die Hälfte ihrer Dienste Frauen und Mädchen zugute kommt.

Wir erwarten, dass auch in den UN-Klimaverhandlungen und allen Institutionen zur Bekämpfung der Klimakatastrophe und zur Prävention von Ressourcenkonflikten Frauen zur Hälfte beteiligt werden.

Wir erwarten und wir kämpfen für das Ende aller Kriege und die weltweite Abrüstung!

* Ute Scheub ist eine Journalistin und Autorin in Deutschland sowie westeuropäische Koordinatorin der 1000 Friedensfrauen weltweit

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